
Liebe Absagen,
Inzwischen haben sich bereits einige von euch bei mir eingefunden. Die erste eurer Art – eine Absage für einen kreativen Studiengang – ist aus dem Mai 2013. Die letzte von euch – eine Agenturabsage – vom Mai 2022. (Es sollte allerdings erwähnt werden, dass inzwischen mein Drucker den Geist aufgegeben hat, der mir vorliegende Stapel also nicht mehr repräsentativ ist.)
Ich fürchte, ich habe inzwischen nicht mehr die beste Einstellung zu euch. War ich zunächst noch voller Elan, gewillt mit dicker Haut durch das anstehende Prozedere der 1.000 Absagen zu kommen, welches ein schreibendes Leben nun einmal mit sich bringt, so habt ihr mich mit der Zeit immer dünnhäutiger gemacht. Jede weitere Mail, jeder Brief oder auch jedes Schweigen über eine gegebene Frist hinaus scheint eine Schicht meiner Haut abgetragen zu haben. So stehe ich heute vor euch, ganz dünnhäutig und entblößt.
Und durch die dünne Haut kommen dann all die Gedanken. Das sollte nicht so schwer sein, das sagt was über mein Schreiben aus, das sagt was über mich aus und sowieso – wer will von mir schon etwas lesen? Dabei weiß mein Kopf, dass Absagen einfach nur ein Teil des Prozesses sind, da müssen alle Schreibenden durch. Meine Haut und mein Herz aber wissen das nicht. Zwar versuchen sie nach wie vor die Stellung zu halten, sich weder unterkriegen noch abblättern zu lassen, doch ohne Wirkung bleibt ihr nicht. Das Weitermachen, Weiterschreiben wird mit einem Stapel von euch für mich zumindest nicht leichter.
Seht ihr, mein Hirn, mein Herz und meine Haut kennen auch die Geschichten von den erfolgreichen Autor*innen, die nach Dutzenden Absagen die eine Agentin, den einen Verlag gefunden haben, die an den Text und den Schreibenden geglaubt haben. Die dann der Beginn einer Erfolgsgeschichte waren. Doch was passiert, jammert die Haut, wenn diese Agentin, dieser Verlag ausbleiben? Wenn sich nur immer mehr und mehr von euch einfinden? Einige mit netten Worten, manche mit guten Anmerkungen und andere immerhin mit dem Wunsch, das nächste Projekt und so weiter. Was passiert dann?
Nun, in meinem Fall wird weitergemacht, dünne Haut und schweres Herz zum Trotz. Ohne Weitermachen gäbe es heute schließlich keinen Stapel von euch und auf dem Foto wäre ein einzelnes weißes Blatt zu sehen. Und wie traurig wäre das, wenn ihr diese Macht über mein Leben gehabt hättet? Wenn ich mein Schreiben, meine eigenen Geschichten aufgeben hätte wegen einer von euch? Wenn ich vor lauter Angst, gleich morgen kommt noch eine von euch um die Ecke, mit dem Versuchen und Träumen aufgehört hätte? Nein, nein, liebe Absagen. Lieber packe ich euch zu einem Stapel zusammen, klopfe einmal – vielleicht ein wenig dynamischer als nötig – auf euch und mache mich an das Schreiben meines nächsten Projektes. Denn wer weiß! Schon morgen könnte sich das Blatt wenden und eine weitere Erfolgsgeschichte nähme ihren Lauf.
All the love,